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Projektentwicklung

Das Konzept von „die kunst der stunde“ (kds) wurde am Institut für Musikpädagogik in Wien entwickelt, der zeitliche Schwerpunkt der Entwicklung lag in den 1990er Jahren.

(Eine kurze Darstellung der Entstehungsgeschichte aus persönlicher Perspektive findet sich in Christian Winklers kds-Buch.)

 

Impuls

Als ich im Jahr 1988, von Berlin kommend, die so genannte Zweite Lehrkanzel für Musikpädagogik übernahm, lagen mir zwei Dinge am Herzen, die hier von Belang sind:

  1. Team
    Ich wollte von Anfang an mein Wirken als Professor im kollegialen Zusammenwirken verankern. In dieser Hinsicht hatte ich als wissenschaftlicher Assistent an der Westberliner Musikhochschule in einem Bartók-Projekt positive Erfahrungen gemacht. Mir erschien die Zusammenarbeit über die konventionellen Grenzen der beruflichen Positionen und Anstellungsverhältnisse hinweg als hoher Wert. Deshalb lud ich Kolleginnen und Kollegen, Lehrbeauftragte, Assistenten, Studierende, Lehrerinnen aus Schulen sowie Künstler und andere Interessierte von außerhalb der Hochschule ein, in einem Projekt mit mir zusammenzuarbeiten. Damit etablierte ich vom Beginn meiner Wiener Tätigkeit an das Prinzip der kollegialen Kooperation in meinem Wirkungsbereich.
  2. „Klassik“
    Meine berufliche Reputation war seit Ende der 1970er Jahre stark mit der Rockmusik verknüpft. Durch die Anlage meiner hochschulischen Seminare, der Lehrerfortbildungen sowie der Bücher „Rockmusik – Rockkultur“ und „Rockmusik und Unterricht. Eigene Wege für den Alltag mit Musik“ wurde ich als jemand wahrgenommen, der durch die spezifische Art des Einbeziehens der Rockmusik die didaktischen Prinzipien und die Inhalte des herkömmlichen Musikunterrichts überdenken und neu prägen wollte. Dieser Ruf war mir recht, aber zu eng mit der Rockmusik verbunden.
    Tatsächlich lag es mir genauso am Herzen, speziell der so genannten Klassischen Musik einen veränderten, angemesseneren Stellenwert zuzusprechen. Ende der 1980er Jahre habe ich in diesem Sinne eng mit Christoph Richter zusammengearbeitet, und wir haben in der „Studienreihe Musik“ zwei Bücher mit dem Titel „Klassische Musik – Musik der Klassik“ publiziert (Band 1: Wolfgang Amadeus Mozart, Band 2: Mozart – Haydn, Beethoven). Gleich am Beginn des ersten der beiden Bände haben wir dazu angeregt, sich auf verschiedenste Weise mit einem klassischen Musikwerk auseinanderzusetzen: „Sieben Möglichkeiten, Erfahrungen mit der ‚kleinen Nachtmusik‘ zu machen“, und zwar: 1. Bewegen, 2. Malen, 3. Texte erfinden, 4. Darstellen, 5. Musizieren, 6. Noten untersuchen, 7. Forschen.
    Diesen konzeptionellen Entwurf habe ich genutzt, das „Klassik-Projekt“, für das wir später den Namen „die kunst der stunde“ fanden, zu prägen. Aus den „sieben Möglichkeiten“ wurden die sechs „Aktionsräume Musik“. Struktur und Design des kds-Projekts gaben der Idee einen tiefer gehenden und weiteren Horizont, so wie es hier vor allem in „Anleitung zur Offenheit“, „Paroli“ und „Tätigkeit/Aneignungstheorie“ erörtert wird.

 

Ausarbeitung

Die Projektgruppe arbeitete intensiv während des hochschulischen Alltags in den Räumen des neuen Instituts für Musikpädagogik in der Metternichgasse und ferner, ebenfalls unter optimalen äußeren Bedingungen, auf mehrtägigen Kompaktveranstaltungen u.a. auf einem Landschloss in Niederösterreich, im Schloss Valtice (Tschechien) und Schloss Zeillern. Die Ausarbeitung des kds-Konzepts in all seinen Feinheiten vollzog sich im permanenten Hin und Her von Diskussion und praktischer Erprobung. Die Aktionskonzepte, die Raumgestaltung und das genaue Design der Moderation wurden entworfen, praktisch durchgeführt, überarbeitet und so weiterentwickelt. Im Mittelpunkt unserer Arbeit stand also das praktische Tun und das Weiterentwickeln der Qualität des Tuns durch Reflexion und Diskussion; tiefer gehende theoretische (philosophische) Forschung fand in diesem Kontext nur am Rande und in Ansätzen statt.

Von besonderer Bedeutung für die Projektentwicklung waren drei Großveranstaltungen (1991, 1994, 1995), zu denen jeweils ca. 500 bis 800 Teilnehmende kamen, vor allem Schulklassen, aber auch Pädagogen, Künstlerinnen, Psychologen usw. Für die Lehrerinnen und Lehrer, die mit Schulklassen kamen, wurden vorher und hinterher ganztägige, verbindliche Veranstaltungen durchgeführt.

Sozusagen auf dem Höhepunkt der Projektarbeit, 1995, erwies sich die Projektgruppe mit über 30 Mitgliedern als zu groß (hier die Namensliste) und in den Interessen zu divergent. Sie wurde daher aufgelöst. Eine kleine Gruppe arbeitete noch ca. ein Jahr lang weiter, es kam aber zu keiner nennenswerten Weiterentwicklung.

 

Fortsetzung

In den folgenden Jahren, bis heute, gab und gibt es verschiedene Formen und Kontexte, in denen „die kunst der stunde“ als Idee und Konzept weiter „lebt“ oder als Anregung in andere Bereiche der musikpädagogischen Praxis und Theorie hineinwirkt.

Publikation

Mitte der 1990er Jahre wurde in einer Gruppe von sieben Autorinnen bzw. Autoren am kds-Buch „Aktionsräume – Künstlerische Tätigkeiten in der Begegnung mit Musik. Modelle – Methoden – Materialien aus DIE KUNST DER STUNDE“ gearbeitet; es wurde 1997 von Christine Stöger und mir herausgegeben. Später, 2002, untersuchte Christian Winkler das kds-Modell aus der Perspektive des systemischen Konstruktivismus: „Die Kunst der Stunde – Aktionsräume für Musik. Ein Modell zur Vermittlung von Musik aus systemisch-konstruktivistischer Sicht“. Ferner wurden zahlreiche Vorträge gehalten und Artikel publiziert.

Praxis

Immer wieder wurden und werden punktuell hochschulische Seminare, kds-Intensivtagungen und Lehrerfortbildungsveranstaltungen durchgeführt. Es gab auch Initiativen zur praktischen Realisierung des kds-Konzepts in Firmen; sie kamen aber nicht zustande.

Wieweit das kds-Konzept tatsächlich Eingang in den schulischen Alltag findet, ist ohne größere empirische Forschung kaum einzuschätzen. Ebenso wenig ist zu erkennen, wie sich das System schulischen Lernens in Zukunft verändern mag, so dass in ihm die Ideen und Angebote der „kunst der stunde“ anregend wirken könnten.

Anregung

Die Erfahrungen und die Ideen der „kunst der stunde“ wirken in andere musik- und kunstpädagogische Praxisfelder hinein, so z.B. in die so genannte Musikvermittlung, also die Konzertpädagogik, in die Museumspädagogik, in die Elementare Musikpädagogik und in Vermittlungskonzepte zu Improvisation und Neuer Musik.

Ich selber habe, zum Teil gemeinsam mit Thade Buchborn, konzeptionelle Entwürfe für hochschulische Seminare und den schulischen Musikunterricht erarbeitet, die nicht der Struktur und dem Design der „kunst der stunde“ entsprechen, aber entscheidende Anregungen daraus aufgreifen, ich habe sie unter dem Begriff „Musizieren und Gestalten“ zusammengefasst. Das Buch dazu ist in Arbeit.