Denjenigen Ansatzpunkt finden

3.2. Den Ansatzpunkt finden

3.2.1. Suchbewegungen in der Komplexität

Dieser Arbeitsschritt, der den Einstieg in den accompagnato-Lernzyklus bedeutet, kann bereits selbst eine starke produktive Wirkung mit sich bringen. Das Gespräch, das die Person, die nun die Rolle der Protagonistin spielt, mit zwei oder drei Begleitern führt, hat das Durchdenken der eigenen Unterrichtserfahrungen zum Inhalt, hier vor allem das Reflektieren von Fragestellungen, Unsicherheiten und Desideraten. Und es verfolgt das Ziel, einen bestimmten Ansatzpunkt zu finden, mit dem das eigene Unterrichten ein Stück weit als positiv verändert erlebt werden kann. Man kann davon ausgehen, dass sich bereits in diesem Arbeitsgespräch der Blick auf die eigene Unterrichtspraxis verändert und differenziert.

Manche Protagonisten können schnell einen konkreten Ansatzpunkt benennen, andere haben eher ein globaleres Gefühl für ihre Veränderungswünsche beim Unterrichten. Meistens, auch wenn ein Bedürfnis vordringlich zu sein scheint, erweist es sich als hilfreich, mit Ruhe und Behutsamkeit vorzugehen. So kann zum Beispiel zunächst allgemein über das Selbstverständnis des Protagonisten von sich selbst als „gutem Lehrer“ gesprochen werden, etwa so: In diesen oder jenen Bereichen, in solchen Situationen … kann ich gut arbeiten, komme ich mit mir als Lehrende und mit der Gruppe der Lernenden gut zurecht, fühle mich sicher mit meinen inhaltlichen Vorbereitungen, mit meinen Methoden usw. Damit wird im Gespräch eine Atmosphäre der positiven und konstruktiven Orientierung etabliert. Manchmal gibt es sogar Anlässe, Hemmnisse fürs positive und konstruktive Denken beiseite räumen zu müssen, sich etwa freizumachen von der unangenehmen Stimmungslage im Schulkollegium, in der Direktion oder unter den Schülerinnen und Schülern und von dem Gefühl, von außengeleiteten Anforderungen unter Druck zu stehen.

Diese Arbeitsphase gleicht zunächst einer Suchbewegung in der Komplexität des Unterrichtsalltags. Schulz von Thun nennt sie die „Erkundung des äußeren und inneren Kontextes“. Alles scheint mit allem zusammenzuhängen: die inhaltliche Klarheit mit der Arbeitsfähigkeit der Lernenden, die Methoden mit dem Verhalten, die Sympathie oder Antipathie gegenüber den jungen Menschen mit der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Alles kann in diesen Gedanken-Spielen Raum bekommen, auch Wünsche und Abneigungen, Problemfälle und Erfolgsmomente, Gefühle von Hilflosigkeit und Zweifeln, von Freude und Stolz. In diesem Hereinholen und Abtasten wird sich dieser oder jener Punkt in den Vordergrund drängen, man kann ihn mehr und mehr fokussieren, und dann konkreter herausarbeiten, ob, wie und mit welcher Intention er sich als Anliegen für die Arbeit im Lernzyklus eignen könnte.

3.2.2. Der weitere Horizont 

Das Anliegen ist zunächst einmal unmittelbar praktikabel: Der oder die Lehrende, die Protagonistin, benutzt es als den entscheidenden Fokus im Lernzyklus, die Begleiterinnen bzw. Begleiter, die den Unterricht besuchen, konzentrieren sich darauf beim Beobachten des Unterrichtsgeschehens und bei der anschließenden Auswertung. Im Idealfall aber erfasst das Anliegen einen weiteren Horizont: Es wirkt in die Komplexität des Unterrichts hinein und verweist auf ganz andere Aspekte und Desiderate des Lehrerhandelns. Manchmal eröffnet es sogar den Zugang zu tieferen Schichten, zum Beispiel zum Erkennen eigener Handlungsmuster oder blinder Flecken.

Ich möchte das an einem Beispiel veranschaulichen. 

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Das Finden eines geeigneten Ansatzpunktes und das Formulieren dieses Ansatzpunktes als Anliegen sind zwei Aspekte dieser Arbeitsphase, die ineinander übergehen. Hier erläutere ich sie in zwei getrennten Punkten, um so die entscheidenden Merkmale präziser herauszuarbeiten.